Epimune Reportage im Berliner Tagesspiegel vom 25.08.2020

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Ein Tropfen Blut genügt
Der Tagesspiegel, 25.08.2020/ SONDERTHEMEN
GESUNDHEITSWIRTSCHAFT
THEMENSPEZIAL Medizintechnik, made in Berlin
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Ein Tropfen Blut genügt

 

Starker Südosten: Das Berliner Start-up Epimune ist eines von vielen Unternehmen in Adlershof, die im Bereich Biotechnologie tätig sind. Es will die Diagnose von Immundefekten grundlegend verbessern – und hat dafür einen unkomplizierten Test entwickelt

 

Von Aleksandra Lebedowicz

 

Ständige Ohrinfektionen, häufige Lungenentzündungen, zu geringes Körpergewicht: Die Symptome sind unspezifisch. „Deshalb bleiben Immundefekte in vielen Fällen unerkannt“, erklärt Christoph Sachsenmeier bei einem Rundgang im Innovations- und Gründerzentrum (IGZ) in Adlershof. Im dritten Stock des Baus an der Rudower Chaussee sitzt die Berliner Biotechfirma Epimune. Sachsenmeier, 54, ist Geschäftsentwickler. Die Büro- und Laborräume wirken überraschend gewöhnlich – dafür, dass hier an einem Produkt getüftelt wird, mit dem das neunköpfige Team die Früherkennung von Erkrankungen des Immunsystems revolutionieren will.

 

Aber wie? Eine kurze Recherche auf der Webseite des 2017 gegründeten Unternehmens liefert Hinweise: Mithilfe von Epigenetik haben die Gründer ein Verfahren etabliert, das Immunzellen in einem Tropfen Blut messen kann. Dafür produziert das Start-up spezielle Testkits, die in Laboren weltweit eingesetzt werden können.

 

Ob Rheuma, Krebs oder Aids: Überall wollen Ärzte wissen, wie das Abwehrsystem von Patienten aussieht. Sind die benötigten Zellen in normaler Verteilung vorhanden? Für eine gut funktionierende Abwehr sind bestimmte Mengen an weißen Blutzellen, also Leukozyten, nötig. Dazu gehören unter anderem B- und T-Lymphozyten sowie natürliche Killerzellen – die bei Immundefekten fehlen. Laut Experten leiden bis zu ein Prozent aller Menschen daran. „Eine gigantische Zahl“, sagt Biologe Sachsenmeier. Inzwischen sind mehr als 400 Krankheitsbilder, die von einem Gendefekt verursacht werden, bekannt. Viele sind behandelbar, es gibt Therapien. Doch nur ein Bruchteil der Betroffenen bekommt effektive Hilfe. Am Ende scheitert es an der Diagnostik. Epimune setzt mit seiner Technologie genau dort an. Wie funktioniert nun genau die Methode? Was ist das Innovative daran? Und vor allem: Was heißt überhaupt Epigenetik?

 

Zurück in Adlershof: Christoph Sachsenmeier und Epimune-Geschäftsführer Uwe Staub sitzen an einem langen Konferenztisch und lösen die Rätsel auf. „Bei dem Begriff Genetik haben viele Menschen Berührungsängste. Sie denken: DNA, das ist unser Erbgut, da werden sensible Daten generiert“, sagt Uwe Staub und räumt die Bedenken aus. „Das ist mit unserer Methode nicht der Fall, weil wir nicht die genetische Information abfragen, sondern eine, die auf der DNA obendrauf liegt.“ Das sei die Besonderheit der Epigenetik im Gegensatz zur Genetik. Daher auch die Vorsilbe „epi“, die im Griechischen „darauf“ bedeutet. Die Natur hat also über der genetischen Sequenz eine weitere Ebene geschaffen, die dafür verantwortlich ist, welche der Gene eigentlich abgelesen werden. Im Zuge der von Epimune entwickelten Tests wird ebendiese über der DNA liegende Schicht untersucht. Die Methode habe einen entscheidenden Vorteil. „Die epigenetischen Signale sind chemisch und biologisch sehr stabil“, sagt Sachsenmeier. Das Verfahren werde zum Beispiel in der Forensik angewendet.

 

Womit man direkt bei der Frage wäre, worin die Innovation von Epimune besteht. „Bei der gängigen Methode zur Bestimmung von Immunzellen braucht es frisches Blut“, sagt Sachsenmeier und erteilt kurzerhand Biologieunterricht. Man müsse sich weiße Blutzellen wie runde Beutel vorstellen, erläutert der Experte. Innen steckt die DNA, obendrauf gibt es Proteine. Beim Standardtest würden die Abwehrzellen über die Oberflächenmarker erkannt. „Damit man sie nachweisen kann, muss das entnommene Blut innerhalb von 24 Stunden ins Labor, sonst sind die Zellen kaputt“, sagt Sachsenmeier. Mit der Technologie von Epimune wird das Nötige nicht auf, sondern in dem Beutel gesucht. „Deshalb können wir auch im getrockneten Blut messen“, ergänzt Uwe Staub. Inzwischen kann Epimune 20 unterschiedliche Abwehrzellen so detektieren und zählen.

 

Dass solche innovativen Ideen ausgerechnet im Südosten Berlins entstehen, ist kein Zufall. Mit dem Wissenschafts- und Technologiepark (Wista) ist in Adlershof ein besonderer Mikrokosmos entstanden. Enge Vernetzung von Hochschulen und Forschungsinstituten macht interdisziplinäre Kooperationen möglich.

 

Davon profitieren auch Adlershofer Gründer und Unternehmer auf dem Gebiet der Gesundheitsversorgung – und liefern vielversprechende Ansätze zur Lösung globaler Gesundheitsprobleme. Neue Medikamente, bezahlbare Impfstoffe und bessere Diagnostik gehören dazu. Nach Wista-Angaben sind in Adlershof gegenwärtig 79 Unternehmen mit mehr als 800 Mitarbeitern in den Bereichen Biotechnologie, Pharma, Analytik und Umwelt tätig. Die Branchen zählen zu den wachstumsstärksten in Berlin.

 

Dazu leistet auch Epimune einen Beitrag. Und ist gerade dabei, sein erstes Produkt, den i.Mune Test zur Bestimmung von Lymphozyten in einem Tropfen Blut, auf den Markt zu bringen. Eine sportliche Leistung für ein so junges Unternehmen. „Wir sind ein Start-up mit langer Historie“, sagt Uwe Staub. Man habe die Kerntechnologie und alle Patente von der Mutterfirma Epiontis geerbt. Mehr als 15 Jahre Forschungsarbeit stecken also hinter dem Produkt. „i.Mune ist unser Cola-Cola“, sagt Staub schmunzelnd. Das Markenprodukt also, das analog zu Cola Light und Cola Zero variiert werden kann, um nicht nur bei Kindern und Erwachsenen, sondern auch bei Neugeborenen Immundefekte besser zu erkennen.

 

Die Tests könnten überall dort, wo Labore fehlen und die Blutlogistik kaum etabliert ist, viele Probleme lösen – etwa in Indien, Lateinamerika oder auf den griechischen Inseln. „Messungen aus Trockenblut sind ein wesentlicher Fortschritt, weil sie unabhängig vom Abholservice funktionieren. Man kann die Probe monatelang aufbewahren und quer durch die Welt schicken“, sagt Staub. Eine enorme Entlastung – auch für deutsche Patienten in ländlichen Regionen. Ihnen könnte die oft lange Anreise zu den immunologischen Zentren erspart bleiben. Stattdessen bekämen sie kleine Trockenblutkarten aus Filterpapier, piksten sich zu Hause in den Finger und sendeten die Proben direkt ans Labor.

 

Damit all das bald Alltag ist, wird bei Epimune fleißig weitergetestet, optimiert – „und gekocht!“, sagt Christoph Sachsenmeier, als ein Mitarbeiter plötzlich aus einem der Labore stürmt. Durch seine weiße Haube sieht er einem Koch in der Tat verblüffend ähnlich. „Herr Sündig ist unser Produzent“, sagt Sachsenmeier. Er kümmere sich um die Herstellung der Tests, setze die speziellen Lösungen an, fülle die Fläschchen ab. 48 Kits entstehen in einem Zyklus. Die Produktion sei aber leicht skalierbar.

 

Schließlich wird bei Epimune global gedacht. Ja, natürlich wolle man wachsen, da sind sich Staub und Sachsenmeier einig. Interessenten in Europa und Indien gebe es bereits. Je nach Bedarf könne man in Adlershof auch flexibel weitere Räume dazumieten. Das tröstet über ein kleines Standortmanko hinweg: den weiten Weg. „Dass wir die Produktion hier nicht mehr stemmen, das Problem hätten wir aber gern“, sagt Sachsenmeier.